Stephan Mätzschke, Mitglied der Geschäftsführung der BIRGROUP Holding GmbH & Co. KG zum Thema: Oberflächendesinfektion auf Wasserbasis – eine Alternative in der Lebensmittelindustrie?
Reinigung und Desinfektion sind zwei untrennbar miteinander verbundene Prozessschritte in der
Fleischverarbeitenden Industrie. Mit Electro Chemical Activate steht in jüngster Zeit eine Alternative zur chemischen Desinfektion zur Verfügung, die Wasser mikrobiozide Eigenschaften
verleiht. Keimfreiheit allein mit Wasser und Kochsalz? Stephan Mätzschke erklärt,
wie das Verfahren in der Praxis funktioniert und welche Vorteile es bietet.
Frage: Herr Mätzschke, im Bereich der Desinfektion von Trinkwasser und Trinkwasserleitungsnetzen wird das Electro Chemical Activate-Verfahren, kurz ECA, seit langem als Alternative zur chemischen Desinfektion eingesetzt…
Stephan Mätzschke: …insbesondere in Ländern mit problematischer Wasserversorgung und
warmem Klima, aber auch in Gebäuden mit langen Verweilzeiten des Wassers in den Leitungen,
schützt die Technologie zuverlässig vor Legionellen und anderen Keimen.
Frage: Relativ neu hingegen ist Ihre Idee, das Verfahren als Alternative zur Desinfektion von Oberflächen in der Fleischverarbeitenden Industrie einzusetzen. Den Produzenten stehen eine
ganze Reihe verschiedener chemischer Wirkstoffe zur Verfügung. Es stellt sich die Frage
nach dem Warum?
Mätzschke: Trotz dieser von Ihnen angesprochenen Vielfalt an Desinfektionsmitteln unterscheidet man letztlich nur zwei Wirkmechanismen, nämlich den inhibtiven und
den destruktiven Wirkungsmechanismus.
Frage: Wo liegen die Unterschiede?
Mätzschke: Chemische Substanzen wie Quaternäre Ammoniumverbindungen oder Aldehyde, wirken inhibtiv auf die Bakterien. Sie zerstören die Zelle also nicht, sondern hemmen
nur deren Vermehrung, indem sie in den Zellstoffwechsel eingreifen. Allerdings gibt es Lücken im Wirkungsspektrum und bestimmte Keimgruppen lassen sich nicht effektiv bekämpfen. Bei fehlerhafter Anwendung besteht die Gefahr der Resistenzbildung, insbesondere bei Unterdosierung über einen längeren Zeitraum.
Frage: …und die alternative Wirkstoffgruppe?
Mätzschke: Hierzu zählen Peressigsäure, Wasserstoffperoxid und Natriumhypochlorit. Sie wirken destruktiv auf die Bakterien, das heißt, die Zelle wird zerstört. Die Wirkstoffe verfügen über eine sehr gute Breitbandwirkung und es besteht keine Gefahr der Resistenzbildung.
Frage: Allerdings sind diese Wirkstoffe hochkorrosiv und somit für Materialien und auch für
den Anwender gefährlich…
Mätzschke: Genau hier kommt unsere ECA-Lösung ins Spiel. Sie wirkt in gleicher Weise wie
Peressigsäure, Wasserstoffperoxid oder Natriumhypochlorit – nämlich destruktiv, das heißt
sie oxidiert die Bakterienzelle und zerstört sie. Jedoch ohne die von Ihnen angesprochenen
Nebenwirkungen. Die Lösung ist weder korrosiv noch reizend für Material und Anwender,
sondern entspricht der Trinkwasserverordnung und zählt nicht zu den Gefahrstoffen.
Frage: Sie gewinnen die ECA-Lösung mittels Electrochemical activation. Was verbirgt sich
dahinter?
Mätzschke: Electrochemical activation ist eine Technologie, die auf einer Behandlung von
Trinkwasser mittels Elektrolyse basiert. In dem Verfahren wird Wasser unter Hinzugabe
einer Salzsole durch eine Elektrolysekammer geführt. Vereinfacht ausgedrückt, wird durch
Anlegen einer elektrischen Spannung ein Redoxpotenzial erzeugt – in unserem Fall 1.200
Millivolt. Das Redoxpotenzial verleiht der entstehenden Flüssigkeit mikrobiozide Eigenschaften.
Gerät die Lösung mit einer Bakterienzelle in Kontakt, so werden Elektronen übertragen sie stirbt ab.
Frage: Oft fehlen fundierte Daten und empirische Prüfergebnisse, um eine Beurteilung über
die Eignung des Verfahrens für die fleischverarbeitende Industrie vornehmen zu können…
Mätzschke: Eine Lücke, die wir im Rahmen eines sechs Monate dauernden Feldversuchs im Edeka Fleischwerk Nord im Jahr 2011 schließen konnten. Ziel war es, bereits durch diesen Prozessschritt ein mikrobiologisch akzeptabler Oberflächenstatus zu erreichen. Dabei haben wir die chemische Desinfektion und den anschließenden Neutralisationsschritt durch einen Schaumreiniger ersetzt, der mit ECA-Wasser von den Oberflächen abgespült wurde.
Frage: Die Desinfektion von Produktionsanlagen in der Fleischwarenproduktion ist aufwändig und hängt von der Art der Anlagen ab. CIP-Systeme sind noch die Ausnahme. Wie sind Sie im Feldversuch vorgegangen?
Mätzschke: Zunächst wurde eine Risikoanalyse durchgeführt. Davon ausgehend, dass die ECA-Lösung sich ähnlich instabil gegenüber der Anwesenheit organischer Belastung auf den Kontaktflächen verhalten würde wie die oxidativen chemischen Desinfektionsmittel wurden die Oberflächen in den Betriebsräumen in „leicht zu reinigen“ und „schwer zu reinigen klassifiziert“. Als leicht zu reinigen wurden alle glatten Edelstahloberflächen eingestuft, wie Füllmaschinen, Mischer, Wölfe, Arbeitstische. Als schwer zu reinigen klassifizierten wir zum Beispiel Zerlegebänder, Zerlegebretter und Druckluftzyliner.
Frage: Wie gelangt die Lösung in den Reinigungskreislauf?
Mätzschke: Durch eine Impfstelle an der Reinigungsleitung. Mit ihr wird das in der Anlage
hergestellte Konzentrat in geringen Mengen in das Netz eingespeist. Die Dosierung erfolgte mittels einer digitalen Kolbenmembranpumpe in Verbindung mit einem Kontaktwasserzähler.
Frage: Wie stellen Sie sicher, dass das Reinigungspersonal alle Prozessschritte mit ausreichender
Sensibilität und Genauigkeit durchführt?
Mätzschke: Alle Ergebnisse wurden von uns dokumentiert, regelmäßige Abklatschproben zusammen ergänzen die Qualitätssicherung. Beispielsweise wurden die als schwer zu reinigenden klassifizierten Anlagenteile nach Abschluss der Reinigungsarbeiten und
vor Beginn des Abspülens mit ECA-Wasser im ATP-Verfahren auf organische Rückstände
überprüft.
Frage: Wie wirkt sich das Verfahren auf die Trinkwasserqualität im Netz aus?
Mätzschke: Die Dosierung wurde so bemessen, dass der Chloranteil im Wasser maximal
0,3 ppm betrug. Täglich wurde die Dosierung des ECA-Anteils im verwendeten Wasser auf
Konformität mit der deutschen Trinkwasserverordnung photometrisch geprüft. Über den
gesamten Versuchszeitraum wurden mehr als 1.000 Tupferproben entnommen und durch
ein akkreditiertes Labor ausgewertet. Die Untersuchung wurde auf aerobe mesophile
Keimzahlen, sowie auf Enterobacteriaceae durchgeführt…
Frage: …das Projektziel wurde erreicht?
Mätzschke: Voll und ganz. Wir haben bei Edeka ein achtstufiges Reinigungsverfahren
etabliert, das maximale Sicherheit in der Fleischproduktion gibt: Trockene Vorreinigung,
Vorspülen, Schaumreinigung, manuelle Reinigung, Zwischenspülung, visuelle Reinigungskontrolle,
Desinfektion und mikrobiologische Kontrolle. Mit diesem Verfahren konnte der mikrobiologischen Status der Anlagen gegenüber der klassischen chemischen Desinfektion
verbessert werden.
Frage: Wie sieht die Bilanz auf der Kostenseite aus?
Mätzschke: Wir haben signifikante Einsparungen bei den Reinigungszeiten erzielt. Was
insbesondere ein Vorteil ist, wenn die Reinigungsfenster eng bemessen sind, etwa durch
saisonale Schwankungen der Produktionsvolumina. Auch eine deutliche Senkung des
Wasserverbrauchs haben wir nachweisen können. Ein Nebeneffekt ist die automatische
und permanente Desinfektion des Trinkwasserleitungsnetzes, in das die Anwendungslösung
gespeist wird. Dies erhöht die Sicherheit, gerade in älteren Leitungsnetzen.
Frage: Lässt sich die Empfehlung über die Eignung des Verfahrens auf andere Branchen erweitern?
Mätzschke: Aufgrund unserer Ergebnisse ist der Einsatz einer solchen Anlage als Ersatz
für die chemische Desinfektion im Bereich der Fleischverarbeitenden Industrie zu empfehlen.
In Betrieben mit grundlegend anderen Produkten und Ausgangskeimbelastungen auf
den Oberflächen, wie beispielsweise in Schlachthöfen, sollte zuvor eine entsprechende Erhebung analog zur beschriebenen Fallstudie vorgenommen werden. Für die Verarbeitung
frischer Salate liegen solche Ergebnisse bereits vor. Hier ist der Einsatz der ECA-Technologie
uneingeschränkt zu empfehlen.
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Frau Yvonne Raubold
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